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Viel Sinn und Unsinn rund um Brand Purpose

Jede Marke muss Haltung zeigen und gesellschaftliche Ziele verfolgen, heißt es. Doch so einfach ist es nicht, sagt Strategin Nina Rieke. Vielleicht ist eine Besinnung auf die Kundenbedürfnisse oftmals sinnvoller.

Vor wenigen Monaten gab es zahlreiche Essays, die uns davon vorschwärmten, dass die Krise alles ändern würde. Und dass nichts mehr so sein wird, wie zuvor. Auch in Bezug auf Marken würde sich unser Konsumverhalten nun endlich komplett wandeln. Denn die Corona-Zeit hat wie ein Brennglas bestimmte Themen, Mängel und blinde Flecke der Gesellschaft mehr als deutlich gemacht.

Marken sind Abbild unserer gesellschaftlichen Werte und Wünsche. Unsere Werte ändern sich jedoch nicht erst seit Covid, sondern über deutlich längere Zeiträume. So sehen wir in den vergangenen Jahrzehnten eine Orientierung hin zu Werten, die für gesellschaftlichen und für sozialen Impact stehen wie Nachhaltigkeit, Verantwortung und Gerechtigkeit. Werte, die heute mehr denn je Leitlinien für authentisches unternehmerisches Handeln und weniger Marketing-Rhetorik sein sollten. Denn schließlich fordern Kunden genau das: Marken, die Verantwortung übernehmen. Hier sind sich fast alle Studien relativ einig: Rund 75 Prozent der Kunden wünschen und erwarten dies heute von Marken attestieren die Studien von Havas, Brand Trust oder Accenture.

Die Purpose-Diskussion ist viel älter

So ist die Diskussion rund um Brand Purpose auch älter als Simon Sineks populärer „Start with Why“-TED Talk im Herbst 2009. Unilever claimt Purpose bereits seit über 90 Jahren, wobei das Thema vor allem unter CMO Keith Weed stark propagiert wurde. Kein Wunder, denn etwa zur selben Zeit hat Marc Pritchard bei P&G Purpose zum Kernelement der Kommunikation und Markenführung gemacht. Als Chief Brand Officer war es Pritchard ein Anliegen, dass P&G sich transformiert in eine „Force for Good and a Force for Growth.“ Wer genau hinschaut, sieht die Wurzeln bereits im Shared Value Konzept von Kramer und Porter, die das Thema seit 2006 explorieren.

Als ich nun neulich las, dass auch das Hofbräuhaus einen Purpose hat, nämlich Geselligkeit, war klar: Das Thema ist nun wirklich überall angekommen. Und ebenso auch alle Missverständnisse, die damit einhergehen. Nun ist es Zeit für eine Bestandsaufnahme. Wo stehen wir in Bezug auf Brand Purpose – und kann und muss eine Marke in Zeiten einer Pandemie verstärkt sinnorientiert kommunizieren?

Ein Buzzword mit sehr flexiblen Definitionen

Was genau Brand Purpose ist, das wird ganz unterschiedlich eng oder weit gefasst. So hat Jim Stengel als CMO (bis 2008) sich bei P&G bereits für das Streben nach einem „Brand Ideal“ stark gemacht, bei dem sich Marken an menschlichen Kernwerten ausrichten und danach streben, das Leben der Menschen zu verbessern. Neben der Schaffung von sozialem Impact und gesellschaftlicher Veränderung finden sich hier ein deutlich weiteres Verständnis für Purpose mit den weiteren vier Facetten: Freude zu bereiten, Verbindungen zu ermöglichen, Exploration zu inspirieren oder Stolz hervor zu rufen. Andere wiederum ziehen die Linie deutlich enger – hier bedarf es einer klaren unternehmerischen Anbindung an eine „Triple Bottom Line“ im Sinn von Profit, People und Planet. Dabei liegt die Messlatte deutlich höher als nur einen geschickten Trade Off herzustellen – und als Teil der Scorecard zu fungieren. Es soll ein tieferes Bekenntnis dahinterstehen: im besten Fall eine andere, reformierte Sicht auf den Kapitalismus, wie wir ihn kennen. Nicht nur ein Marketing-Gadget, ein Kampagnen-Sprungbrett, das als neues Motto, als Teil einer saisonalen Haltungskampagne Bestand hat.

Damit steht es Unternehmen offenkundig sehr frei, welcher Art von Purpose sie folgen möchten. Wie weit sie in ihrem Bekenntnis dazu gehen. Und wie tief es in ihrer Kultur verankert ist. Der feine Unterschied liegt dann auch darin, wofür das eigene Sinnbekenntnis genutzt wird. Ist es kommunikative Haltung oder Unternehmenskultur-Treiber? Beides ist möglich. Oft aber nicht der Fall. Und so finden sich heute drei verschiedene Formen, in der Unternehmen und Marken sich das Thema zu eigen machen.

Drei Formen, um Brand Purpose aufzugreifen

Die „Purpose Geborenen“ sind auf einer starken Sinnorientierung aufgebaut, sozialer und gesellschaftlicher Impact sind Philosophie und Handelsmaxime der Gründer iund bestimmen alles, was das Unternehmen tut. Oft sind dies eher Nischenmarken – bekanntere Beispiele sind Toms Shoes, Veya, Patagonia oder auch Ben & Jerry‘s. Hier kommt Purpose von Innen und ist Teil der Unternehmens-DNA.

Die „Purpose Reformer“ sind meist größere Unternehmen, die das Thema ernsthaft angehen wie beispielsweise Unilever in vielfältiger Form. Oft wird es von außen in das Unternehmen getragen, so über ein neues Management. Damit verbunden ist ein langwieriger Transformationsprozess, der das gesamte Unternehmen hinter sich braucht, um zu gelingen und langfristig Früchte zu tragen. Und auch KPIs, an denen das erleb- und messbar wird. Eben bis hin zu einer Triple-Bottomline.

Die „Purpose Bluffer“ verwechseln kurzfristige Sinn-Kampagnen und Marken-Aktivismus zu populären sozialen Themen mit Purpose. Was maximal Kampagnen-Niveau erreicht und saisonal wechselbar ist, hat voraussichtlich kaum einen Effekt, sowohl für die Marke als auch in der Ausrichtung des Unternehmens. Wird daher auch gern als „Purpose-Washing“ beschrieben und zeichnet sich dadurch aus, das es rein Marketing- und Kommunikationsgetrieben ist, ohne weiteren Einfluss auf das Unternehmen.

Nur Arroganz der Marketingverantwortlichen?

Eine mögliche Motivation zu solchem Treiben ist es, sich so auch selber weniger schuldig zu fühlen am Elend der Welt. So geht Byron Sharp, Autor von „How Brands Grow“ jüngst in einem Interview noch einen Schritt weiter und hat es als Arroganz von Marketingverantwortlichen bezeichnet, zu glauben, dass es Menschen interessiert, was eine Marke über ein Virus denkt. Eine Aussage, die sicher provokant ist, weil sie eine ganze Branche mit den eigenen Egos konfrontiert.

Auch Ian Murray, Gründer der englischen Research- und Strategie-Beratung House 51 hat vor und während der Pandemie mehrere Erhebungen durchgeführt – mit der Erkenntnis, dass nur 15 Prozent der Mainstream-Kunden an die sozialen Claims von Marken glauben. Auch bei Werbern selber ist die Zahl mit 20 Prozent nicht deutlich höher. Selbst auf dem Pandemie-Höhepunkt im Frühjahr war hier keine Veränderung zu sehen. Er geht hart mit Purpose-Botschaften ins Gericht: „Brand Purpose ist einfach etwas, das Werbetreibenden hilft, sich selbst und über was sie tun, besser zu fühlen. Es geht um das psychologische Wohlbefinden der Vermarkter, nicht darum, was die gängigen Kaufentscheidungen motiviert.“

Deshalb stimmt es auch, dass wenige Marken wirklich mit Statements zur Weltrettung davonkommen, ohne öffentlich in Frage gestellt zu werden. Patagonia nimmt man es ab, dass sie sich für die Erhaltung des Planeten einsetzen – weil sie eben nicht nur Jacken und T-Shirts unter diesem Motto verkaufen. Sondern es tief in ihrer Unternehmens-DNA verankert ist. Und sie deutlich mehr machen als sagen.

Klare Maxime: Nicht nur sagen, sondern machen

Nicht nur die Mainstream-Kunden sind insgesamt skeptisch gegenüber Purpose-Botschaften. Laut einer US-Studie sind es vor allem jüngere Kunden, die akribisch darauf achten, dass Botschaft und Handeln im Einklang sind. Das dürften wir zuletzt anschaulich sehen, als die schwedische Hafermilch-Marke Oatly massiv Gegenwind bekamen, nachdem sie mit Blackrock neue politisch nicht ganz zu ihrem Unternehmenskonzept stimmige Investoren hat. Wobei auch hier davon auszugehen ist: dies ist nur eine kurzfristige Empörungswelle einer kleinen sehr sinnorientierten Kundengruppe. Wer sich Oatly genau anschaut kann schnell sehen: Die Schweden sind schon länger auf großem Expansionskurs und längst zu Teilen in chinesischer Hand. Nur der Auftritt als rebellische, kleine Do-Good-Marke, die mit dem Finger auf „die Foodindustrie“ zeigt lässt sie nach außen so erscheinen, als ob sie nicht längst selbst – wenn auch ein kleinerer – Teil davon ist.

Wird das ein Stolperstein sein für Oatly in der Zukunft? Vermutlich nich. Denn wenn wir Byron Sharp, anerkannter Experte zu Markenwachstum zum Thema Purpose glauben, so wird dies für das Erreichen einer größeren, breiteren Käuferschaft kaum im Weg stehen. Denn für einen großen Teil der potentiellen Kunden ist Sinnhaftigkeit wesentlich weniger wichtig, als sie vielleicht in Studien sagen.

Marke soll Menschen helfen, sich zu transformieren

So sehr wir uns also nachhaltiges, sozial verantwortungsvolles Handeln von Unternehmen und Marken wünschen, so wenig sind wir selbst dazu immer in der Lage. Und treffen auch nicht jede Kaufentscheidung gleichermaßen sinngetrieben.

Vor allem in Zeiten einer aufkommenden Rezession wird Preis erneut zu einem wesentlichen Treiber – und Sinn vermutlich nicht für jede Kategorie oder Käufergruppe der ausschlaggebende Faktor. So weist Thomas Kolster, Autor von „The Hero Trap“ genau darauf hin: nicht der Buy in zum Purpose zählt, sondern der tatsächliche Produkt- und Markenkauf. Und eine Antwort auf die Frage: „Who can you help me become?“ Also nicht die Frage, wie die Marke die Welt verändert, sondern wie sie dem Kunden hilft, sich zu transformieren. Für die Marke und speziell für die Markenkommunikation ist das ein wesentlicher Punkt. Nicht die Haltung, die die Marke einnimmt, sondern das Sprungbrett, das sie mir als Mensch liefert.

Eine Rückbesinnung auf das, was wirklich wichtig ist

P&G hat sich als Unternehmen 2018 mit „Ambition 2030“ erneut sehr ambitionierte Ziele gesetzt, auch in Bezug auf Nachhaltigkeit. So sollen bis 2030 die Treibhausgasemissionen halbiert werden und so viel Strom aus erneuerbaren Quellen kommen, dass davon alle Werke betrieben werden können. P&G nennt ihr eigenes Vorgehen „Brand Ambition“ in ihrem Modell für die Brand 2030. Und betont auch, dass Purpose nicht zum Buzzword verkommen darf und alle Marken messbare Ziele definieren und erreichen müssen. „Ambition“ als Begriff macht deutlich, dass es eine langfristige Zielsetzung ist und wie lang und komplex der Weg ist Die deutsche Unternehmensseite spricht von Zielen, Werten und Grundsätzen – nicht von Purpose. Vielleicht eine bewusste Entscheidung? Es geht vielmehr darum, Leben positiv zu berühren und zu verbessern: jetzt und für kommende Generationen. Das ist nah an den bereits früher propagierten menschlichen Werten, zukunftsorientiert und offener formuliert in Bezug auf das, was Unternehmen und Marken für den Einzelnen leisten. Und macht deutlich, wie wesentlich im Kern eine alte Marketing-Weisheit ist: sich glaubwürdig an Kundenbedürfnissen zu orientieren.

Für viele Unternehmen ist es an der Zeit, einen Schritt zurückzutreten und zu klären, wo sie in Bezug auf das große Thema Purpose wirklich stehen. Ist es tatsächlich intrinsischer Treiber? Oder nur Kampagnen-Thema? Wie sehr passt es wirklich zur eigenen Kultur, internen Maximen und Unternehmensstrategie? Wenn es eine überzeugende Haltungskampagne mit klarem Markenbezug ist – es dann auch so zu nennen – statt auf Begriffs-Trends zu setzen. Denn Covid hat vieles verändert und wird dies sicher auch weiterhin tun. Aber bei manchen Dingen vielleicht auch eine Rückbesinnung ermöglicht auf das, was wirklich wichtig ist. Und macht so künftig einen ehrlicheren Umgang mit der eigenen Marke und Strategie möglich.

Dieser Artikel ist ursprünglich am 6. Oktober 2020 in der W&V, einer der großen Publikationen im Bereich Werbung und Marketing erschienen.

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